TSV Trochtelfingen
„MEET THE REF“ FEIERT PREMIERE IN TROCHTELFINGEN
Über 60 Mitglieder des TSV Trochtelfingen und benachbarter Vereine hatten sich am 17. November im TSV-Vereinsheim am Rande der schwäbischen Kleinstadt eingefunden, um an einer ungewöhnlichen Veranstaltung teilzunehmen: Nicht einem Trainer oder einer Vorständin wollten sie diesmal zuhören, sondern mit Justin Volz und Kadir Yagci zwei aktiven Schiedsrichtern sowie mit Thaya Vester einer Kriminologin und Schiedsrichterforscherin von der nahen Universität Tübingen.
Eingeladen hatte treffpunkt fußball, eine Initiative von Weltmeisterkapitän Philipp Lahm und der zweifachen Europameisterin Celia Šašić. „Unsere Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, Sportvereine, Unternehmen und andere Organisationen miteinander zu vernetzen und Projekte auf den Weg zu bringen, die einen Beitrag dazu leisten, den Amateurfußball zu stärken und aktuelle Herausforderungen anzugehen. ‚Meet the Ref‘ ist eines dieser Projekte. Das Dialogformat soll ein besseres Miteinander zwischen Schiedsrichtern und Spielern fördern und den Fairplay-Gedanken wieder stärker in den Mittelpunkt rücken. Wir freuen uns, dass dieses Format nun beim TSV Trochtelfingen seine Premiere feiern konnte“, so Philipp Lahm.
Dass der Umgang mit Schiedsrichterinnen bzw. Schiedsrichtern gerade im männlichen Amateurfußball bedenklich geworden ist, bestätigte Dr. Thaya Vester gleich zu Beginn des Abends: „Wir können für die vergangenen Jahre einen Anstieg der gewaltbedingten Spielabbrüche im Männerfußball nachweisen. Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter sind dabei die gefährdetste Gruppe: Sie tragen das größte Risiko, auf dem Fußballplatz angegriffen zu werden“, sagte die Kriminologin mit Blick auf ihre Forschung, die sie unter anderem als Mitglied der DFB-Projektgruppe „Gegen Gewalt gegen Schiedsrichter*innen“ an der Uni Tübingen betreibt.
Justin Volz (19) und Kadir Yagci (23), die für den Württembergischen Fußballverband (wfv) seit Jahren auf Amateurebene Spiele leiten, sind beide glücklicherweise bislang noch nicht Opfer von Gewalt geworden. Im Gespräch an diesem Abend bestätigen sie aber, dass es für sie seit ihren Anfängen als Schiedsrichter normal sei, Spiele in aufgeheizter, teils aggressiver Atmosphäre zu pfeifen. Man müsse sich entsprechend ein dickes Fell zulegen, um mit dieser Normalität zurechtzukommen, erklärten die beiden.
„An dieser Normalität müssen wir unbedingt etwas ändern, wenn wir wollen, dass Amateurspie-le auch in Zukunft von einem Schiedsrichter oder einer Schiedsrichterin geleitet werden“, warnte Thaya Vester und nahm dabei Spieler, Trainer und Zuschauer gleichermaßen in die Pflicht. Gerade viele junge Unparteiische könnten mit der emotionalen Belastung häufig nicht gut um-gehen und würden die Pfeife schnell wieder an den Nagel hängen.
Und das ist problematisch, denn die Zahl der aktiven Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter ist seit Jahren rückläufig: Waren in der Saison 2016/17 noch rund 59.000 Unparteiische im Amateurfußball unterwegs, waren es in der Spielzeit 2022/23 nur knapp 53.600. Das entspricht einem Rückgang von 11 Prozent. Schon jetzt müssen in manchen Regionen Deutschlands Fußballspiele abgesagt oder verschoben werden, weil sich kein Schiedsrichter findet – da gerade viele Männer an der Pfeife schon recht alt sind, dürfte sich dieser traurige Trend in den nächsten Jahren noch verstärken.
Auch der TSV Trochtelfingen hat aktuell – obwohl er sich aufgrund der Auflagen des Verbands intensiv darum bemüht – keinen Schiedsrichter in den eigenen Reihen. Auf Thaya Vesters Nachfrage, wer sich denn vorstellen könne, eine Schiedsrichter-Laufbahn einzuschlagen, hob im Publikum niemand die Hand. Dabei ist der Schiedsrichter-Job ein gutes Training für Körper, Geist und Persönlichkeit, wie Justin Volz und Kadir Yagci glaubhaft vermittelten: Man treibt Sport, muss in Bruchteilen von Sekunden Entscheidungen treffen – im Schnitt sind es pro Partie rund 100 – und entwickelt Verantwortungsbewusstsein und Selbstsicherheit. Dazu sei es für ihn als Fußballfan natürlich super, ständig auf Fußballplätzen unterwegs zu sein, ergänzte Kadir Yagci, der Spielern auf dem Feld schon mal ein Lob für eine gelungene Aktion ausspricht.
Nach einer ausführlichen Frage-Antwort-Runde mit dem sehr interessierten Publikum richtete Jugendleiter Marco Renner, der die Veranstaltung seitens des TSV Trochtelfingen organisiert hat, zum Abschluss nochmal ein paar ernste Worte an die Anwesenden: „Stellt euch vor, wie bitter der Nachhauseweg für einen Schiedsrichter sein muss, wenn man ihn auf dem Platz mal wieder bedrängt oder beleidigt hat. Wir haben nach einem verlorenen Spiel wenigstens unsere Mannschaftskameraden, mit denen wir unseren Frust teilen können. Der Schiedsrichter hat erstmal niemanden.“
Genau damit dieses Verständnis für die Person gegenüber geschärft wird, dazu soll das Dialog-format „Meet the Ref“ beitragen. Die nächste Ausgabe soll im Frühjahr 2023 steigen, wieder mit spannenden Gästen. Wer Interesse hat, eine Ausgabe der Reihe bei sich im Verein auszurichten, kann sich gerne an mailto:info@treffpunktfussball.org wenden.